Gefährdet der Rüstungskonzern Rheinmetall in Schwyz die Neutralität?

Die in der Schweiz hergestellten oder getesteten Waffen werden auch in Kriegsgebiete exportiert. Dagegen hat sich in der Innerschweiz Widerstand formiert.

Es ist höchst problematisch, dass die Neutralität in der schweizerischen Bundesverfassung weder ausdrücklich erwähnt noch klar und deutlich festgeschrieben ist. Das zeigt der Fall der deutschen Rüstungsfirma Rheinmetall AG, die in der Innerschweiz Waffen erprobt.

Es stellt sich die Frage, ob diese auch in aktuelle Kriegsgebiete exportiert werden. Gegen Rheinmetall hat sich in der Innerschweiz ein veritabler Widerstand formiert, der davon ausgeht, dass deren Aktivitäten in der Schweiz mit der Neutralität nicht vereinbar sind.

Die Rheinmetall AG testet ihre militärischen Produkte im Erprobungszentrum Ochsenboden im Kanton Schwyz: „Zu den Hauptaufgaben des Erprobungszentrums Ochsenboden gehören umfassende Versuche an Waffen, Munition und anderen militärischen Systemen.“

Der Ochsenboden sorgt in der ansässigen Bevölkerung schon lange für Unmut. „Wir wissen einfach nicht, wie sich diese Versuche auf die Natur hier, unser Vieh, unsere Gesundheit und das Wasser auswirken“, so eine junge Frau aus Unteriberg. Der Ochsenboden liegt im Oberlauf und Quellgebiet der Sihl.

Interpellation im Schwyzer Regierungsrat

Am 15. Februar 2024 reichten drei Kantonsräte beim Schwyzer Regierungsrat eine Interpellation zum Munitions-Erprobungszentrum Ochsenboden in Unteriberg ein. Unter anderem wollten die Kantonsräte wissen, ob die Betriebsbewilligung vom 20. Oktober 1954 des Regierungsrates des Kantons Schwyz an die damalige Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon-Bührle AG heute noch „zeitgemäss und für Mensch und Natur tragbar und vertretbar“ sei und wie mit dem Problem einer „Sanierung des Schiessgeländes in Bezug auf beispielsweise Blei, andere Schwermetalle oder uranhaltige Munition“ umgegangen werde.

Eine weitere Frage lautete:

„Kommt der Kanton Schwyz bzw. die Schweiz mit der bewilligten Nutzung des Erprobungszentrums Ochsenboden der Rheinmetall AG bzw. RWM Schweiz AG nicht in Konflikt mit der Schweizer Neutralität und/oder mit der Kriegsmaterialverordnung?“

Regierungsantwort auf die Interpellation

Am 4. Juni 2024 beantwortete der Regierungsrat die Interpellation. Zur Frage der Betriebsbewilligung von 1954 schreibt der Regierungsrat, 1961 sei die Betriebsbewilligung für „den Schiessbetrieb auf die Anlagen im Schwyzerplätz und im Aueli“ provisorisch erweitert und 1967 endgültig genehmigt worden.

Zum Problem der Sanierung des Schiessgeländes verlautbarte der Regierungsrat:

„Das Amt für Umwelt und Energie ist für altlastenrechtliche Beurteilungen von belasteten Standorten zuständig. (…) Munition mit abgereichertem Uran («Uranhaltige Munition» oder «DU-Munition») wird im Ochsenboden nicht eingesetzt. Einzig in den Jahren 1968 und 1969 wurden Schiessversuche mit DU-Munition durchgeführt.“

Dabei sei insgesamt 5.1 kg abgereichertes Uran eingesetzt worden. Rückstände von abgereichertem Uran aus den damaligen Schiessversuchen seien keine gefunden worden.

Zur Frage der Schweizer Neutralität und Kriegsmaterialverordnung antwortete der Regierungsrat:

„Die Verordnung über das Kriegsmaterial vom 25. Februar 1998 (KMV, SR 514.511) regelt gemäss Art. 1 Abs. 1 KMV die Grundbewilligungen und die Einzelbewilligungen für den Handel, die Vermittlung und die Ein-, Aus- und Durchfuhr von Kriegsmaterial sowie den Abschluss von Verträgen für die Übertragung von Immaterialgütern einschliesslich Know-how und die Einräumung von Rechten daran. Die Zuständigkeit liegt beim Bund und nicht beim Kanton Schwyz.“

Kleine Anfrage zur Neutralität

Am 26. Juli 24 reichte Kantonsrat Arnold Fässler beim Sicherheitsdepartement des Kanton Schwyz eine Kleine Anfrage ein, in der zum Ausdruck kommt, dass mit den Aktivitäten von Rheinmetall auf dem Ochsenboden die Schweizer Neutralität gefährdet werden könnte. Auf diese Sorge ging der Departementsvorsteher in seiner Antwort vom 23. August 24 nicht ein.

Offener Brief an den Regierungsrat

Josef Ender vom Aktionsbündnis Urkantone liess sich von den vagen Antworten des Schwyzer Regierungsrates nicht abspeisen und nahm diesen mit einem Offenen Brief am 16. Dezember 24 wie folgt in die Pflicht:

„Fragen zu einem international tätigen Rüstungskonzern, dessen Waffen auch in der Ukraine und in Israel Menschen töten, verdienen es, exakt und seriös beantwortet zu werden.“

Zur regierungsrätlichen Antwort zur Frage der Schiessanlagenbewilligung schreibt Josef Ender:

„Es gibt eine Schiessanlagenbewilligung für die Schweizer (damals Neutral) Firma Oerlikon Bührle & Co. aus den Jahren 1954 und 1961 für Flugzeugbewaffnung, Flabgeschütze und -raketen. Gilt eine 70-jährige Bewilligung im Kanton Schwyz automatisch auch für eine Deutsche Nachfolgefirma, die kriegsführende Länder beliefert? Eine Bewilligung für die kürzlich durchgeführten Vorführungen des Drohnen- Abwehrsystems Skyranger, welches mit Hochenergie-Laser und Störsender ergänzt werden kann, sucht man jedenfalls vergeblich.
Bei einem einfachen Bauern ist schon für die geringste ‚Nutzungsänderung‘ ein neues Gesuch nötig und die Ämter pochen auf jedes Detail, das für eine Bewilligung verlangt wird.“

Besonders scharf kritisiert Josef Ender die Antwort der Schwyzer Regierung auf die Frage „Kommt der Kanton Schwyz bzw. die Schweiz nicht in Konflikt mit der Schweizer Neutralität und Kriegsmaterialverordnung?“
Antwort der Regierung: „Die Zuständigkeit liegt nicht beim Kanton Schwyz.“
Auf die Frage der Kantonsräte „Welche Auswirkungen hat der Ukraine-Krieg auf den Rheinmetall-Standort Ochsenboden?“ hatte die Regierung wie folgt geantwortet: „Das kann von der kantonalen Verwaltung nicht beantwortet werden.“

Solch nebulöse Antworten lässt man sich in der Urschweiz nicht bieten, wie die geharnischte Antwort von Josef Ender im Offenen Brief zeigt:

„Wenn so ernsthafte und wichtige Fragen derart lapidar beantwortet werden, komme ich mir als Schwyzer für dumm verkauft vor. (…) Aus Erfahrung wissen wir, dass Kriegsparteien zuerst Betriebsstätten von Waffenfabriken angreifen und zerstören. Ist dem Regierungsrat bewusst, dass der Ochsenboden für die Schwyzer Bevölkerung eine massive Gefahr darstellen kann?

Ist der Regierungsrat bereit, die veralteten, vielleicht sogar ungültigen, Betriebsbewilligungen auf den neusten Stand zu bringen? Besonders da es Oerlikon Bührle, für welche die Bewilligung ausgestellt wurde, schon längst nicht mehr gibt und der Käufer der Firma, der ausländische Rheinmetall- Konzern, die Neutralität der Schweiz weder lebt noch vertritt. Als die Bewilligung 1954 für Oerlikon Bührle ausgestellt wurde, die in der Schweiz nach Schweizer Recht Waffen herstellte und exportierte, galten wohl noch ganz andere Kriterien als heute. 
Ist der Regierungsrat bereit, Transparenz für die Bevölkerung herzustellen und aussagekräftige Antworten mit sinnvollen Details zu geben?
Mit den bisherigen Antworten schafft es der Regierungsrat nicht, das erforderliche Vertrauen herzustellen.
Wenn es möglicherweise um unbewilligte Waffentests geht, muss der Regierungsrat von sich aus – allenfalls zusammen mit den zuständigen Bundesbehörden – eine aktivere Rolle einnehmen. Es geht um die Sicherheit unserer Bevölkerung und unseres Landes. 
Für Neutralität sei der Kanton Schwyz nicht zuständig? Als Wiege der Schweiz? Doch! Gerade jetzt! Josef Ender, Ibach“

Neues Baugesuch der Rheinmetall AG

Am 10. Februar 25 wurde von der Rheinmetall bei der Schwyzer Gemeinde Unteriberg ein Baugesuch für den Neubau einer Produktionshalle eingereicht mit 5 bis 8 Arbeitsplätzen, die folgendem Zweck dienen soll:
„Die Rheinmetall Air Defence benötigt im Rahmen der Abnahme- und Versandvorbereitungen zusätzliche Werkstatt- und Lagerflächen am Standort Studen. Die Hallennutzung umfasst sowohl die Zwischenlagerung von Systemen, Teilsystemen und Baugruppen als auch die Reparatur, Montage- und Verpackungsprozesse der Rheinmetall Air Defence.“

Einspruch gegen das Baugesuch der Rheinmetall AG

Gegen das Baugesuch hat die Interessengemeinschaft Frye Schwyzer vertreten von Josef Ender am 3. März 2025 fristgerecht Einspruch eingelegt. Aus der Einsprache sind hier die wichtigsten Passagen zitiert:

„2. Rheinmetall entwickelt auf Schweizer Boden Waffen, die in bewaffneten Konflikten eingesetzt werden. Dies ist eine indirekte Unterstützung von Kriegsführung und nicht mit der Neutralität der Schweiz vereinbar (BV Art. 173 + Art. 185). Zum Vergleich: Würde beispielsweise eine Tochtergesellschaft eines Russischen Konzerns in Unteriberg oder anderswo im Kanton Schwyz eine entsprechende Baubewilligung erhalten?
3. Rheinmetall liefert seine Waffen an verschiedene Kriegsparteien (z.B. Ukraine, Türkei, Saudi-Arabien). Eines der ersten Ziele von Kriegsparteien sind die gegnerischen Waffenproduzenten inkl. ihrer Betriebsstätten. Wenn beispielsweise der Ukraine-Konflikt in Richtung Westen eskaliert, was momentan leider nicht ausgeschlossen werden kann, besteht eine reale Gefahr für Unteriberg und den Kanton Schwyz, dass der Ochsenboden Ziel eines Angriffs wird. Die Sicherheit der Schwyzer Bevölkerung muss vor finanziellen Interessen stehen. Gemäss kantonalem PBG §54 müssen Bauten und Anlagen so erstellt werden, dass sie weder Personen noch Sachen gefährden. Im vorliegenden Fall wird die Anlage zu einem potenziellen Kriegsziel internationaler Kriegsparteien.
(…)
Zum Schluss noch eine ethische Frage: Soll die Testung von Waffen, welche nachher in die Produktion gehen und Menschen töten, in der Schweiz durchgeführt werden? Jeder, der dazu ja sagt, ist unseres Erachtens mitschuldig am Tod dieser Menschen. Krieg ist kein Schicksal. Krieg ist eine Entscheidung. Es wird Zeit, eine andere zu treffen.
Die Baubewilligung ist nach alldem nicht zu erteilen, da sie rechtswidrig, bundesver- fassungswidrig sowie ethisch nicht vertretbar ist und die Sicherheit der Schwyzer Bevölkerung gefährdet.“

    Am 19.3.25 fügt Josef Ender noch als Ergänzung auf seiner Website folgendes bei:
    „Wir sind für die immerwährende bewaffnete Schweizer Neutralität und befürworten Waffenproduktion für die Schweizerische Landesverteidigung (Ergänzung 19.3.25)“.

    Man darf gespannt sein, wie die Gemeinde Unteriberg, der Kanton Schwyz und der Bund auf den Einspruch der Interessengemeinschaft Frye Schwyzer reagieren werden.


    Passend dazu:

    Tagesanzeiger: Schweizer Waffen für die Ukraine – Rheinmetall-Chef bestätigte Lieferung von Oerlikon-Abwehrkanone. 13.5.2025
    Die in der Schweiz entwickelte Waffe sei bereits in der Ukraine, sagte der Chef des Rüstungskonzerns in einem Podcast. Beim Bund vertraut man weiterhin auf die offizielle Darstellung.

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