Europäische Verteidigungsfonds: Sollten auch Nicht-EU-Staaten und Neutrale wie die Schweiz profitieren?

Die Frage, ob Nicht-EU-Staaten von den europäischen Verteidigungsfonds profitieren sollten, spaltet die EU. Die Einbeziehung von Staaten wie der Türkei könnte die geopolitischen Spannungen schüren. Eine mögliche Beteiligung der Schweiz wirft neutralitätspolitische Fragen auf.

Die Europäische Kommission hat einen Vorschlag vorgelegt, wonach 150 Milliarden Euro in die Verteidigungsindustrie der Union investiert werden sollen, um die europäische Sicherheitsarchitektur zu stärken. Doch ein zentraler Streitpunkt in dieser Debatte ist, ob auch Länder ausserhalb der EU von diesen Mitteln profitieren sollten. Insbesondere Deutschland und Frankreich vertreten unterschiedliche Standpunkte zu dieser Frage. Auf diese Problematik machte die englischsprachige Ausgabe der griechischen Zeitung Kathimerini aufmerksam.

Der scheidende deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Auffassung vertreten, dass das europäische Verteidigungsprojekt auch Nicht-EU-Staaten offen stehen sollte. Deutschland sieht enge Verteidigungsbeziehungen zu Ländern wie dem Vereinigten Königreich, Norwegen, der Schweiz und der Türkei, die als Partner gelten, welche «westliche Werte teilen». Diese Staaten, so die Argumentation, könnten durch Mittel aus dem Verteidigungsfonds zu einer stärkeren sicherheitspolitischen Kooperation beitragen. Deutschland betont die Bedeutung eines breiten, internationalen Ansatzes, um eine starke westliche Verteidigungsfront zu bilden.

Der Gedanke hinter dieser Position ist, dass eine enge militärische Zusammenarbeit mit Ländern, die geografisch und politisch eng mit der EU verbunden sind, die Sicherheit der Union insgesamt stärken könnte. Abgesehen von der Schweiz gehören diese Länder der NATO an und spielen eine wichtige Rolle in der internationalen Sicherheitsarchitektur.

Im Gegensatz dazu betont Frankreich, dass die Verteidigungsfonds der EU ausschliesslich für die Mitgliedstaaten der Union verwendet werden sollten. Präsident Emmanuel Macron hat sich deutlich gegen die Verwendung von EU-Mitteln für Nicht-EU-Länder ausgesprochen. Frankreich argumentiert, dass die EU ihre eigenen Verteidigungsfähigkeiten und ihre industrielle Basis stärken muss, ohne auf externe Partner zurückzugreifen. Die Priorität müsse darin bestehen, europäische Unternehmen und Innovatoren im Verteidigungsbereich zu unterstützen, um die Unabhängigkeit der Union auch in Verteidigungsfragen zu stärken.

Frankreich befürchtet, dass die Einbeziehung von Nicht-EU-Staaten in den Verteidigungsfonds das Ziel einer europäischen Eigenständigkeit untergraben könnte. Schliesslich solle die EU in der Lage sein, ihre eigene Verteidigungskraft zu entwickeln, ohne im bisherigen Mass von externen Partnern abhängig zu sein.

Die Einbeziehung von Nicht-EU-Staaten, auch solchen, die gar nicht der NATO angehören wie die Schweiz, in die europäischen Verteidigungsfonds wirft mehrere Fragen auf:

Nicht alle Nicht-EU-Staaten, die von Deutschland genannt wurden, teilen zwangsläufig die gleichen Werte und sicherheitspolitischen Prioritäten wie die EU. Beispielsweise könnte die Türkei trotz ihrer NATO-Mitgliedschaft mit ihren politischen Entscheidungen und ihrem geopolitischen Verhalten Spannungen hervorrufen. Sollte die EU tatsächlich Mittel an solche Staaten weiterleiten, wenn diese die Werte und Ziele der Union nicht in gleicher Weise vertreten?

Schon zu Zeiten Bismarcks galt in Deutschland das Axiom, dass eine Aussenpolitik nicht ohne die Türkei konzipiert werden kann. Dieses Land hat aber seit dem Ende des Osmanischen Reichs immer wieder für Spannungen bis hin zu Kriegen gesorgt. Dabei seien nur die Invasion in Zypern 1974 und die Unterstützung für beide Kriege Aserbaidschans um Bergkarabach genannt, die jüngst zur Vertreibung von etwa 120.000 autochthonen Armeniern geführt haben.

Bei einem heissen Zwischenfall oder einem Krieg in der Ägäis zwischen Griechenland und der Türkei sind die anderen NATO-Länder nicht zu Beistand verpflichtet. Das wurde auf Betreiben Deutschlands in einer Fussnote zum berühmten Artikel 5 des NATO-Vertrags so geregelt. Greift also die Türkei, die in den letzten Jahren grosse geopolitische Ambitionen entwickelt hat, eine griechische Ägäisinsel an, dann dürfen die anderen NATO-Länder Griechenland allein lassen.

Hellas, das aufgrund dieser Situation bereits heute unter hohen Verteidigungskosten ächzt, müsste dann unter Umständen gewärtigen, dass der Verteidigungsfonds die Ägäis destabilisiert. Heute ist es so, dass die Türkei in Bezug auf die Landstreitkräfte stärker ist, aber zu Wasser und in der Luft Griechenland dominiert.

Bern hat sich dazu noch nicht offiziell geäussert, aber eine solche Strategie wirft neutralitätspolitische Fragen auf. Es versteht sich von selbst, dass ein Mitmachen der Schweiz beim europäischen Verteidigungsfonds nicht gratis zu haben wäre. Auch wenn es formell nicht mit einer Beistandspflicht verbunden wäre, dann müssten ziemlich sicher NATO-Standards beachtet und die berühmt-berüchtigte «Interoperabiltät» gewährleistet sein.

Auch wenn das Mitmachen der Schweiz beim europäischen Verteidigungsfonds neutralitätsrechtlich gerade noch ginge, wäre es psychologisch ein fatales Zeichen. Neutralität ist auch eine Frage der Wahrnehmung. Eine Schweiz an Bord dieses Fonds würde nicht mehr als ein offener, engagierter Neutraler wahrgenommen, sondern als ein Anhängsel der NATO. Das würde auch gute Dienste und neutrale Vermittlungen enorm erschweren.

Fazit: Notwendige Rüstungsprogramme evaluiert und finanziert die Schweiz selber.

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